Was ist Norm? Was ist Kreativität? - Hermann Gradinger gibt Antworten!

Hermann Gradinger ist Urgestein der zeitgemäßen Metallgestaltung in Deutschland. Er hat viele Jahre als erste Bundesvorsitzender der Fachgruppe Metallgestaltung im Bundesverband Metall alles versucht, den Schmieden Gehör, Verständnis und Gesicht beim Bundesverband zu verschaffen. Er ist ein Mann des Ausgleichs und der feinen Zwischentöne. Und er hat Gewicht bei den Kolleginnen und Kollegen. Seine Meinung hat Bedeutung.

Hermann Gradinger hat auf Hilferufe der Kollegen reagiert und einen Brief an den Präsidenten des Bundesverbandes Metall geschrieben. Dieser Brief, dessen Veröffentlichung er zugestimmt hat, sollte im Bundesverband schleunigst zum Nach- und vor allem Umdenken führen – es ist ein Appell an die Vernunft:

"Sehr geehrter Herr Mader,
als Mitbegründer der Bundesfachgruppe Metallgestaltung und deren erster Leiter will ich mich zu Wort melden. Die Sorgen und Nöte meiner jungen Kollegen Uwe Weber und Volker Scheib teile ich auch. Diese kann mir auch ein zupackender Präsident nicht nehmen.

Was kann ein kreativer Metallgestalter mit einer Norm anfangen?

Norm: das ist eine einheitliche Ausführung, die aufgrund planmäßiger Vereinheitlichung der Abmessungen, Benennungen, Qualitätsanforderungen, Verfahren, durch rationelle Fertigung in großen Stückzahlen, Verminderung der Lagerbestände und leichterer Ersatzteilbeschaffung erreicht werden soll - Norm ist der Feind von Handwerkskultur. Vereinheitlichung kann nicht ihr Ziel sein, sondern kreative Vielfalt und kreative Vielfalt ist nicht zu vereinheitlichen.

Den großen und international tätigen Unternehmen ist es unbenommen, diese Norm zu erfüllen, doch ist dies keine ausreichende Begründung, diese auch bis in Klein- und Kleinstbetriebe durch zu setzen. Ich schließe mich mit vollem Umfang der Forderung von Volker Scheib an, dass Betriebe, die im so genannten EXC1-Bereich arbeiten sich nicht zertifizieren lassen müssen. Eine Zertifizierung sagt nichts über die Qualität einer Werkstatt aus.

Metallgestalter lieben ihr Handwerk. Der Entwurf, das Herstellen und das gute Ergebnis sind untrennbar miteinander verbunden. Unser Arbeitsethos braucht keine Norm, uns interessiert die Qualität unserer Arbeit. Unser zeitaufwändiger Arbeitsprozess vom Entwurf bis zur fertigen Arbeit verträgt keinen weiteren Aufwand und keine zusätzlichen Kosten. Eine erfüllte Norm sagt nichts über die Qualität einer Arbeit aus.

Diese ist exakt beschrieben mit den Merkmalen, die Christine Ax in ihrem Buch "Die Könnengesellschaft" aufgestellt hat: - Freiheit und Selbstbestimmung – Arbeit an der eigenen Vollkommenheit und Könnerschaft - Handeln in Harmonie mit der Natur und ethischen Prinzipien – Dauerhaftigkeit und Werthaltigkeit der Arbeit – Respekt und Wertschätzung für die eigene Arbeit und die der Anderen.

Mit dieser Grundeinstellung ist unsere Werkstatt seit 125 Jahren gut gefahren und wird es weiterhin tun, auch ohne DIN EN 1090 !

Mit freundlichen Grüßen
Hermann Gradinger"