Ausgabe 7/8 1999


Kurz vor seinem 65. Geburtstag beendete der thüringer Kunstschmied Günter Reichert Ende letzten Jahres seine berufliche Laufbahn als Metallgestalter. HEPHAISTOS-Mitarbeiterin Grit Böhm sprach mit ihm über seine Arbeit und seine künstlerischen Zukunftspläne:
Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt in seinem Leben: Der Thüringer Schmiedemeister Günter Reichert hält Rückblick auf 50 Jahre Arbeit als Metallgestalter und Ausblick auf seine Zukunft als Metall-Künstler. In einer Ausstellung im Museum Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden im Thüringer Wald zog er mit einer Gegenüberstellung von neuen und frühen Arbeiten nicht nur Bilanz seines Lebenswerkes, sondern versuchte gleichzeitig auch eine künstlerische Positionsbestimmung.
Günter Reichert wurde 1934 mitten ins Handwerk hineingeboren - seine Mutter führte ein Kunstgewerbegeschäft, für das sein Vater als Schmied handwerkliche Kleinserien herstellte. Bei ihm in der Werkstatt lernte Günter Reichert den Beruf des Kunstschmieds, kam dabei mit Arbeiten von Fritz Kühn in Berührung und lernte später Alfred Schmidt und Manfred Bergmeister kennen.
Trotz einer gewissen Unabhängigkeit der künstlerischen Entwicklung von wirtschaftlichen Zwängen während des DDR-Regimes empfand er die politischen Veränderungen von 1990 als kreative Befreiung. Sie ermöglichten ihm, sich auch auf anderen Gebieten als dem des Kunsthandwerks zu profilieren, wie zum Beispiel seine Papierarbeiten zeigen. In Günter Reicherts Werk durchdringen sich Handwerk und Kunst. Er definiert die beiden Begriffe auf seine Weise: "Kunst hat etwas mit Emotionalität zu tun und nichts mit gutem Handwerk oder handwerklicher Gestaltung; Kunsthandwerk muß man an diesen Kriterien messen, Kunst nicht". Neben Alltagsschmiedearbeiten und Restaurierungen widmete sich Günter Reichert der Skulptur im öffentlichen Raum.
Belassene Bearbeitungsspuren machen den Entstehungsprozeß der Skulpturen sichtbar, klare Grundformen werden mit einem spielerisch leichten Element kontrastiert, der Einsatz von Farbe oder beweglichen Elementen nimmt kraftvollen Formen und großen Schmiedeskulpturen ihre Dominanz und Gewalt. Die Entwicklung der Formensprache - von der Naturform zur Abstraktion - ließ sich in der Ausstellung in Schmalkalden parallel zu den Plastiken auch an den vielen Schalen verfolgen, die Günter Reichert in immer neuen Variationen geschaffen hat. Freude am bewegten Leben und am künstlerischen Experiment kennzeichnen das Werk von Günter Reichert, der auf seinem Weg vom Handwerk über das Kunsthandwerk zur Kunst gerade die letzte, vielleicht wichtigste Etappe in seinem Leben beschreitet. In Zukunft wird er sich neben seinen Metallplastiken, in denen das Schmieden und der Stahl als Sprache vorherrschen, auch anderen künstlerischen Bereichen (Druck, Papier) zuwenden.
Der erfahrene, reife Metallgestalter, dessen Name seit 1983 auch untrennbar mit den Symposien im Tobiashammer im thüringischen Ohrdruf verbunden ist, rät den jungen Handwerkern: "Man darf sich niemals nur mit seiner eigenen Sache beschäftigen, sondern muß das Umfeld sehen, muß viel unterwegs sein, offen sein für Entwicklungen, für andere Einflüsse und darf vor allem nicht nur der handwerklichen Technik verhaftet sein. Zeitgemäß denken ist das A und O".